Der Gute Hirthe

Produkt einer frühen Globalisierung

Elfenbeinskulpturen des Guten Hirten entstanden in Indien im Zuge der christlichen Mission im 17-ten Jahrhundert. Sie sind Produkte einer frühen Globalisierung. In der Verbindung europäischer und indischer Traditionen entstand etwas völlig Neues. Das Gleichnis von Christus als Guter Hirte findet sich im Neuen Testament. Die Vorstellung eines Hirtengottes ist aber auch in anderen Religionen verbreitet. Im Hinduismus wird der beliebte Gott Krishna als jugendlicher Kuhhirte (gopala) dargestellt. 

 

Am Felsen des Guten Hirten finden sich zahlreiche christliche Motive. Dazu zählen auch die büßende Maria Magdalena und der Brunnen, der christlich als Quell des Lebens (fons vitae) gedeutet wird. Andere Motive sind jedoch eindeutig indischen Ursprungs. An einigen Exemplaren findet sich ein mit Blättern gefülltes Gefäß (pur aghata), das in Asien als Symbol für Glück und Fülle steht. Christliche Inhalte wurden so in traditionelle, indische Formen übersetzt.

 

Das Zusammenfügen unterschiedlicher Bildthemen ist typisch für die indische Kunst. In der Forschung wurde der Aufbau des Hirtenhügels mit den gestuften Tortürmen (gopuram) indischer Tempel verglichen. Wie die Türme bot auch der Felsen des Hirten Raum für die Darstellung unterschiedlicher Heiliger und Geschichten. Es gibt Standardmotive (Schafe, Brunnen, Maria Magdalena und Löwen in Höhlen am Fuß des Hügels), die bei größeren Exemplaren um Szenen der christlichen Heilsgeschichte ergänzt wurden. 

 

Die Missionare glaubten, dass Bilder allgemeinverständlich seien und sich besonders zur Glaubensvermittlung eigneten. Die einheimischen Künstler brachten jedoch ihre eigene Tradition in die christlichen Bilder ein. Eine entsprechende Missionsstrategie war die Akkommodation. Das bedeutete, dass sich das Christentum an die jeweiligen Kulturen anpassen sollte. Vor allem Jesuiten nahmen bei ihrer Arbeit bisweilen sogar die Kleidung und Sitten nichtchristlicher Glaubenslehrer an.

 

In historischen Dokumenten und in der aktuellen Forschung gibt es verschiedene Deutungen der Guten Hirten. Eine vollständige Entschlüsselung der vielschichtigen und wandelbaren Figuren ist bisher jedoch nicht gelungen. Auch der Ursprung des Motives ist nicht abschließend geklärt. Für seine Entstehung in Indien spricht, dass sich Darstellungen des kindlichen Guten Hirten in der europäischen Kunst erst in der zweiten Hälfte des 17-ten Jahrhunderts häufen - nach dem Aufkommen in Indien.

 

Herrschaftliches Material und globaler Handel.

Echtes Elfenbein ist nichts anderes als Elefantenstoßzahn.

Durch seine Verbindung zum herrschaftlichen Reittier, aber auch durch seine Eigenschaften - kaum ein anderes Material ließ sich derart fein bearbeiten - entwickelte sich Elfenbein, besonders das afrikanischer Elefanten, zum aristokratischen Material schlechthin. Südasiatische Elfenbeinarbeiten waren besonders nachgefragt und wurden bereitsvor über 2.000 Jahren global gehandelt. Auch die Stoßzähne waren international begehrte Handelsware. Im 16-ten Jahrhundert fanden Elfenbeinobjekte aus Indien und Sri Lanka Eingang in europäische Kunst-und Wunderkammern, so auch eines derhier gezeigten Kunstwerke, das bereits in den Inventaren der Brandenburgisch-Preußischen Kunstkammer Erwähnung fand.