Stabkarten

Eine einzigartige Gedächnishilfe

Die Menschen in Ozeanien, insbesondere auf den Marshallinseln, entwickelten eine Vielzahl von Techniken, um auf dem offenen Meer zu navigieren. Ihre Methoden basierten auf genauen Beobachtungen der natürlichen Welt. Sie achteten auf die Sterne, Wolken, Wellenmuster, Strömungen im Wasser und das Verhalten bestimmter Tiere. Durch diese sorgfältigen Beobachtungen konnten sie den richtigen Kurs für ihre Boote bestimmen.

 

Zusätzlich zu diesen natürlichen Navigationshilfen erfanden die Bewohner der Marshallinseln eine besondere Gedächtnishilfe: die Stabkarten. Diese einzigartigen Karten wurden aus Muscheln und Pflanzenmaterial gefertigt. Stabkarten stellten Wellenmuster, Wegstrecken und die Lage von Inseln dar. Diese Karten halfen den Navigatoren, sich die komplexen Informationen über die Seewege besser zu merken und zu visualisieren.

 

Die Konstruktion und Nutzung von Stabkarten.

Stabkarten, auch bekannt als "Mattang" (generelle Karten) oder "Rebbelib" (spezifische Seekarten), wurden aus dünnen Stäben und Fäden hergestellt. Muscheln markierten wichtige Punkte wie Inseln oder besondere Wellenformationen. Es gibt verschiedene Arten von Stabkarten.

1: Mattang. Diese Karten dienten vor allem zu Schulungszwecken und stellten allgemeine Wellenmuster dar, die durch die Interaktion von Ozeanwellen mit Inseln entstehen.

2: Rebbelib. Diese Karten waren spezifischer und zeigten größere Inselgruppen und deren relative Positionen zueinander.

3: Medo. Diese Karten stellten die direkten Navigationswege zwischen wenigen, spezifischen Inseln dar und beinhalteten Informationen über die Wellenmuster entlang dieser Routen.

 

Durch das Erlernen und Verstehen dieser Karten konnten die Navigatoren der Marshallinseln sicher durch den weiten Pazifik segeln, oft über Hunderte von Kilometern ohne moderne Hilfsmittel. Die Stabkarten sind ein beeindruckendes Zeugnis des menschlichen Erfindergeistes und der Fähigkeit, komplexe Umweltinformationen auf kreative und praktische Weise darzustellen.

 

Ein Meer von Insel.

Der Pazifik ist der größte Ozean der Welt. Aus europäischer Sicht erscheinen die pazifischen Inseln isoliert und klein. Aus Sicht der indigenen Bevölkerung ist ihre Heimat eher ein „Meer von Inseln" und alles andere als klein. In den mündlichen Traditionen umfasst ihr Universum nicht nur die Landmasse, sondern auch den umgebenden Ozean, die Unterwelt, den Himmel und somit das Reich der Gottheiten, Ahnen und Geistwesen.

Der Pazifik war nicht das Niemandsland, für das es Europa lange hielt. Als die ersten Europäer diesen Ozean erreichten, hatte die Pazifikbevölkerung längst alle bewohnbaren Inseln ihres Siedlungsraumes erkundet. Die Inseln und ihre Bewohnerinnen und Bewohner waren nie isoliert. Durch Handel, Kriege und Heiraten standen sie mit der Bevölkerung anderer Inseln und Archipele in Beziehung. Das Meer trennt nicht, es verbindet. Bis heute ist es ein wesentlicher Teil der pazifischen Gesellschaften und Teil ihrer Identität.