Stellschirm

Hundert Vögel huldigen dem Phönix

Dieser prachtvolle Stellschirm wurde um 1700 in der „geritzte Kreide" (kehui) genannten Technik hergestellt. An den europäischen Höfen als Luxusartikel begehrt, gelangten diese Lackarbeiten dorthin vor allem über die Handelsplätze der südostindischen Koromandelküste, was den Begriff „Koromandellack" prägte. Der Phönix steht für Tugend und Eleganz und gilt als Sinnbild glücklicher und friedvoller Herrschaft. Auch die Ziermotive und Embleme in der Bordüre greifen dieses Thema auf. Ein nahezu identischer Stellschirm befand sich bis zur Zerstörung 1945 in der Vertäfelung des Lackkabinetts im Berliner Schloss.


Diese Schirme wurden in China gerne als Geschenke verwendet, hauptsächlich zu Geburtstagen oder Titelverleihungen. In der Fülle ostasiatischer Exportgüter, die im 17-ten Jahrhundert nach Europa gelangten, stellten mit Koromandellack verzierte Stellschirme die mit Abstand größten und repräsentativsten Objekte dar. Auch der Stellschirm fürs Humboldt Forum ist mit Ausmaßen von gut drei mal sechs Metern ziemlich groß. Er beeindruckt durch motivischen und koloristischen Reichtum ebenso wie durch die insgesamt sehr gute Erhaltung. Besonders ist der Schirm auch, da sein Hauptmotiv ein Phönix-Paar ist – eine absolute Rarität. Von mehreren Randbordüren eingefasst, nimmt die Darstellung des Hauptmotivs breiten Raum ein. Während der weibliche Phönix sich auf einem Felsen niedergelassen hat, ist der männliche im Augenblick des Aufsetzens noch halb schwebend erfasst. Ihre majestätische Erscheinung mit pfauenartig langen Schwanzschleppen trägt ihrer Rolle als Herrscher über die Gefiederten und als solche das Kaiserpaar symbolisierend aufs Eindrucksvollste Rechnung. In einer üppig grünenden und blühenden Flora haben sich die anderen Vögel eingestellt, um – auch ihrerseits paarweise auftretend – dem Phönixpaar ihre Aufwartung zu machen. Es sind genau einhundert Vögel, die hier in exakt benennbaren Arten in den Schwarzlack eingeschnitten und farbig ausstaffiert sind, um das glückkonnotierte Thema der „Hundert Vögel, die dem Phönix huldigen“ in seltener Vollzähligkeit zu repräsentieren.

 

Soweit zur ästhetischen Ebene des Stellschirms – aber auch seine Geschichte ist interessant. Der Große Kurfürst von Brandenburg, der mit der Brandenburg-preußischen Kunstkammer die gedankliche Keimzelle des Humboldt Forums schuf, war nämlich großer Freund von Ostasiatika. Darum richtete er um 1695 im Berliner Stadtschloss das erste Lackkabinett in einem deutschen Schloss überhaupt ein – mit zwei chinesischen Koromandellack-Stellschirmen als Herzstück. Einer davon war ein Phönix-Lackschirm. Das Lackkabinett und die Schirme wurden bei einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg zerstört. Allein die 1944 angefertigten Schwarzweißaufnahmen vermochten noch eine Vorstellung des Chinesischen Kabinetts und des darin eingebauten Phönixschirms zu vermitteln.

Der nun erworbene Stellschirm ist nahezu identisch mit dem im Lackkabinett des Großen Kurfürsten. Mit ihm zitiert das Humboldt Forum die für seine Entstehung so wichtige brandenburg-preußische Kunstkammer im Stadtschloss – und dokumentiert zugleich den hohen Stellenwert ostasiatischer Kunst in den Anfängen der Berliner Kunstsammlungen.


 

Zwölfteiliger Koromandellack-Stellschirm

China • Qing-Dynastie (1644 - 1911), Kangxi-Ära (1662-1722), Ende 17. Jh.

Holz, Kreide, Lack, Farbe

Leihgabe der Ernst von Siemens Kunststiftung

DLG 0-735-2017