Klänge der Welt
Musikinstrumente
Eine besondere Erfahrung wartet auf Besucherinnen und Besucher der Ausstellung „Klänge der Welt“: hinter der hellen Textilbespannung des ellipsenförmigen „Hörraums“ im Zentrum des Ausstellungsbereichs verbirgt sich eine aufwändige Lautsprecheranordnung. Diese ist in der Lage, ein dreidimensionales Hörerlebnis zu erzeugen. Das „Fachgebiet Audiokommunikation“ der TU Berlin hat dafür ein komplexes Computersystem entwickelt, das die installierten Lautsprecher in Echtzeit so ansteuert, dass verschiedene akustische Raumwirkungen möglich werden: Abbildungen realer Räume, Erzeugung virtueller Klangumgebungen, statische und bewegte Klänge.
Während der Öffnungszeiten des Museums präsentieren wir im 20-minütigen Wechsel akustische Kunstwerke. Sie haben zum Teil dokumentarischen Charakter, andere Installationen sind Klagkunstwerke im engeren Sinn. Das Programm wird ständig erweitert, allein darum werden sich regelmäßige Besuche des Hörraums lohnen. Das (Hin-)Hören hat einen Platz im Museum verdient – und gefunden.
Aktuelles Hörprogramm:
Pune Metamorphosis
11:10 Uhr, 15:15 Uhr und 18:15 Uhr
Paulo C. Chagas
Das Stück „Pune Metamorphosis“ ist auf der Grundlage von Ambisonics-Klängen und 3D-Videos komponiert, die 2019 in der indischen Stadt Pune aufgenommen wurden. Sie fangen typische Klanglandschaften dieser pulsierenden Metropole ein. Die Ambisonics-Soundscape-Komposition schafft einen kontinuierlichen Übergang zwischen Klängen, die unterschiedliche Kulturen des individuellen und sozialen Hörens vermitteln, wie z. B. menschliche Beziehungen, Tiere, technische Geräte, Architekturen und Strukturen von Raum und Zeit. Eine zweite Schicht ergibt sich durch Transformationen der ursprünglichen Ambisonics-Klänge mittels granularer Synthese, die unbewusste kognitive Klangassemblagen erforscht. Eine dritte Ebene beruht auf Bassflötenklängen, die elektronisch verarbeitet und mittels Wellenfeldsynthese verräumlicht wurden.
„Pune Metamorphosis“ wurde durch das Fulbright Scholarship Programm ermöglicht.
Der Brunnen der Sonne
11:35 Uhr und 15:40 Uhr
Christof Vonderau
Fadenfiguren begleiteten in Kiribati die Erzählung vom Entstehen der Welt, den Aufbruch zur See, die Gedichte der Verliebten, die Betrachtung des Sonnenunterganges, den zeremoniellen Weg ins Jenseits, Erzählungen vom Reich des Meeres, der Gestirne, die spielerische Sicht auf die Natur. Am Strand aufgeführt begleiteten sie zugleich die Ankunft der ersten Europäer.
Können Fadenfiguren den Zusammenhalt der Welt heute noch fassen? Gibt es durch die Vielfalt der Begegnung und den Klimawandel mehr Nähe oder mehr Entfernung zwischen den Inseln Kiribatis und den Industriemetropolen.
Mit dieser Frage habe ich mich in der Komposition Der Brunnen der Sonne beschäftigt und Texte aus dem Archiv von Gerd Koch (1963/64), von Sir Arthur Grimble (1951), Captain Charles Wilkes (1845) und aus dem U.S. Atoll Report (1960) für Tenor, Bariton und Konzertgitarre vertont.
»sufisonics« – Klänge des mystischen Islams in Hamburg
11:55 und 16:00 Uhr
Ulrich Wegner & Marcus Thomas
»sufisonics« thematisiert das religiöse Erleben und Handeln von Muslimen und Muslimas in Deutschland. Akustisch vorgestellt wird eine Sufi-Gemeinde in Hamburg, die Tariqa Burhaniya. Die islamische Mystik, der Sufismus, betont – im Widerspruch zum orthodoxen Islam – den Weg des Einzelnen zu einer Einheit mit Gott.
Im Februar 2015 konnte in Hamburg das an jedem Donnerstag stattfindende Gemeinschaftsritual (hadra) umfassend dokumentiert werden. Das an diesem Abend gewonnene Material bildete die Grundlage für die Arbeit an der Klanginstallation.
In »sufisonics« begegnen uns die Burhanis und Burhaniyas nicht nur als musikalische und rituell Handelnde; sie erhalten das Wort und berichten über die hadra und ihre spirituellen Erfahrungen. Die Beiträge in Arabisch und Deutsch spiegeln die zweisprachige Welt einer muslimischen Gemeinde in einer deutschen Großstadt wider.
»sufisonics« kombiniert einen dokumentarischen mit einem klangkünstlerischen Ansatz.
Datenerhebung (Ein Traurigkeitslied)
10:45 Uhr und 17:50 Uhr
Moritz Fehr
In den Jahren zwischen 1915 und 1918 nahmen Mitarbeiter der sogenannten Königlich Preußischen Phonographischen Kommission im Kriegsgefangenenlager Königsbrück bei Dresden die Stimmen des Lagerinsassen auf Wachswalzen und Schellackplatten auf.
Grigori Kim (Kim Hong-Jun), der als Soldat der russischen Armee hier festgehalten wurde, sang hier am 22. November 1916 unter anderem das koreanische Volkslied Susimga ein. Die Aufnahme des Liedes ist bis heute erhalten und Teil der Sammlung des Lautarchivs Berlin.
Die Raumklangkomposition „Datenerhebung (Ein Traurigkeitslied)“ setzt sich mit dieser Aufnahme von Susimga und ihrer Bedeutung für die Gegenwart auseinander. Aufgrund der Zwangssituation bei der Aufnahme sowie der bis heute ungeklärten Fragen bezüglich der Urheber- und Persönlichkeitsrechte des Sängers Grigori Kim wird die historische Aufnahme hier nicht wiedergegeben.
I Will Not Weep
12:15 und 16:20 Uhr
Senti Toy Threadgill
“No one can take the song within me
No one can take the song within
I Will Not Weep”
Die wassergetränkten Reisterrassen von Nagaland, dem Kernland, in dem die elementaren Klänge von Wasser, feuchter Erde, Schweiß, Atem und menschlicher Stimme ein Lied finden. „I Will Not Weep“ ist ein Lied der Widerstandsfähigkeit. Es ist die gleichzeitige Vielfalt der Naga-Klänge mit ihrer komplexen kolonialen Vergangenheit und der allgegenwärtigen, zerstörerischen Gewalt der indischen Armee. Die Naga haben im Laufe der Zeit viel getrauert und verloren, aber wir singen.
Oksus
12:40 und 16:45 Uhr
Marc Sinan
Der einst reißende Strom ist heute fast versiegt. Seit Jahrtausenden bringt der Fluss, der auf Persisch Amu Darya und auf Griechisch Oxus heißt, kulturelle Reichtümer hervor, die von China bis nach Westeuropa ausstrahlen. Heute ist er zum Symbol für den Raubbau des Menschen an der Natur geworden. Doch nicht nur die Natur Zentralasiens ist bedroht, auch die traditionelle Kultur verschwindet mit rasender Geschwindigkeit und wird von Globalisierung und Verwüstung verdrängt.
Marc Sinan hat eine weitläufige Reise durch Usbekistan unternommen und gemeinsam mit Markus Rindt, dem Leiter der Dresdner Sinfoniker, Musiker gefilmt, die jahrhundertealte, immer schon kosmopolitische Musiktraditionen weiterleben lassen. Die Ergebnisse seiner Recherche präsentiert er in Form einer kammermusikalischen Suite, einem Roadmovie, für Gitarre, Klarinette, Cembalo und Schlagzeug.
Liquid Continent
13:00 Uhr und 17:05 Uhr
Merzouga (Eva Pöpplein & Janko Hanushevsky)
Seit der Antike verbindet das Mittelmeer die Kulturen des Nahen Ostens, Nordafrikas, Südeuropas und der Türkei. Mare nostrum, Unser Meer ist das flüssige Fundament unserer Kulturen. Heute droht es zu einer Grenze zu werden, die Europa gegen seine Nachbarn abschotten soll.
„Liquid Continent“ öffnet ein akustisches Fenster in die Sammlungen des Tonarchivs des Ethnologischen Museums Berlin und auf die Vielfalt musikalischer Traditionen entlang des Mittelmeers. Dem Gesang, den Trommeln, Lauten und Flöten, die seit Jahrtausenden aus allen Himmelsrichtungen von den Ufern über Unser Meer hinweg erschallen, stellen wir eine elektro-akustische Klangkomposition aus Meeresrauschen gegenüber. Dieser längste, kontinuierliche Natur-Klang, den wir kennen, ist älter als die Geschichtsschreibung. Die Musik hat, wie das Meer, den Aufstieg und den Untergang von Weltreichen und politischen Systemen erlebt. Sie ist die anthropogene Entsprechung des flüssigen Kontinents, der uns über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg verbindet.
The Passage
13:20 Uhr und 14:50 Uhr
Mehmet Can Özer
Dieses Stück konzentriert sich auf die ältesten Archivaufnahmen des Berliner Phonogramm-Archivs, sie sind heute im Humboldt-Forum untergebracht. Solche historischen Tonaufnahmen bieten verschiedene Bedeutungsebenen, vor allem den Inhalt. Die Klangwelt dieser Epoche kann man nur mit Hilfe von Wachszylindern hören. Ich persönlich finde es so emotional – die Sterblichkeit des Menschen und die Unsterblichkeit der Dokumentation ringen miteinander. The Passage beleuchtet das memento mori, das von Anfang an die Inspiration war, und kommentiert auch die architektonische Funktion des Hörraums.
Die Tonwiedergabe vom allerersten Beispiel bis zur aktuellen Situation ist die Passage in dieser Komposition. Die Aufnahmetechnologien haben die elektroakustische Musik möglich gemacht, so dass es für mich ein natürliches Kontinuum in Bezug auf das Klangmaterial war. Durch die Verwendung des fortschrittlichen, in den Hörraum eingebetteten immersiven Audiosystems lädt „The Passage“ das Publikum ein, die Rollen von Vergangenheit und Dauer zu tauschen.
Triple Feedback
13:45 Uhr und 17:25 Uhr
Sounding Situations (Milena Kipfmüller, Klaus Janek, Jens Dietrich)
Das Stück „Triple Feedback“ richtet die Aufmerksamkeit auf das gegenseitige Zuhören und die Macht der Aufnahme. Aus ungleichen Begegnungen entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts bei kolonialen Expeditionen deutscher Ethnolog*innen in Ruanda Tondokumente, die im Berliner Phonogramm-Archiv lagern und den Menschen vor Ort lange Zeit nicht zugänglich waren.
Die Künstler*innengruppe Sounding Situations untersucht in „Triple Feedback“, wie durch den Dialog und neue, eigene Aufnahmen Machtstrukturen transformiert werden können.
Heutige ruandische Songwriter, Sänger*innen, Musik-Produzent*innen hören den ihnen bisher nicht zugänglichen Aufnahmen zu und schicken ihre Analysen, Kommentare, Fachwissen aber auch Ärger und Wut nach Deutschland zurück.
Die Gruppe Sounding Situations hat in ihrer Komposition die alten originalen Aufnahmen in ihre heutige musikalische Sprache überführt, die in den Austausch mit den Visionen und Samples von gegenwärtigen ruandischen Musiker*innen tritt.
Transformation: Fortress with Seven Towers
14:40 Uhr
Moritz Fehr
Die Raumklangkomposition Transformation: Fortress with Seven Towers untersucht, wie Ort, Klang und Musik Verbindungen eingehen und miteinander in Resonanz treten können. Sie ist inspiriert von der Geschichte der Festung Eptapyrgio in Thessaloniki und wie sich diese sich in verschiedenen Rembetiko-Liedern widerspiegelt. Die Festung wurde in byzantinischer Zeit erbaut, und im Laufe der Jahrhunderte änderte sich ihre Funktion mehrfach. In den Jahren, in denen sie als ein Gefängnis genutzt wurde, entstanden viele Rembetiko-Lieder, die sich direkt auf sie beziehen. Die türkische Bezeichnung Yedikule, unter der das Eptapyrgio ebenfalls bekannt ist, ist auch der Name einer Festung, die sich in Istanbul befindet. Sowohl in Griechenland, als auch in der Türkei, dienen sie beide heute als ein Museum. Taner Akyol improvisierte für die Raumklangkomposition Transformation: Fortress with Seven Towers auf dem Bağlama.
Wasserwelten
14:05 Uhr
Moritz Schuck und Julie Daudré
Im urbanen Umfeld ist Wasser allgegenwärtig. Die Geräusche, die dieses Element erzeugt, erklingen an vielen Stellen in der Stadt. Oftmals werden sie weniger bewusst wahrgenommen, da andere maschinell oder menschlich erzeugten Geräusche maskierend wirken. Mit verschiedenen technischen Hilfsmitteln wie z. B. der Granularsynthese ausgestattet, begeben sich Moritz Schuck und Julie Daudré auf eine kunstvolle Reise durch die Wasserwelten.
„Wasserwelten“ entstand im Rahmen des Kurses „Spatial Audio: Production & Performance“ im Sommersemester 2022 im Elektronischen Studio der TU Berlin. Im Lauf eines Semesters konnten die Student:innen eine künstlerische oder technisch/wissenschaftliche Fragestellung bearbeiten.
Sculptural Beatings
14:15 Uhr
Konstantin Fontaine, Luca Paul Schulze, Till Vesely
In dem Stück „Sculptural Beatings“ schaffen die drei Künstler:innen einen auditiven Raum zerfallender Klangskulpturen, die sich im Zuge der Platzierung und Bewegung digitaler Klangquellen konstruieren und verformen. Durch die räumliche Verteilung verschiedener Sinuswellen mit nahbeieinander liegenden Frequenzen und den hiermit auftretenden Schwebungseffekten füllt eine verwobene akustische Textur den Raum aus. Sie setzt sich aus verschiedenen Oberflächen und Geometrien zusammen und ändert sich mit der Hörposition. Zusätzlich hierzu werden lokalisierbarere Sounds mit greifbarerer Form durch den Raum gespannt.
„Sculptural Beatings“ entstand im Rahmen des Kurses „Spatial Audio: Production & Performance“ im Sommersemester 2022 im Elektronischen Studio der TU Berlin. Im Lauf eines Semesters konnten die Student:innen eine künstlerische oder technisch/wissenschaftliche Fragestellung bearbeiten.